Auf dem Weg nach Bethlehem

Auf dem Weg nach Bethlehem

Heute sollt ihr es erfahren: Der Herr kommt, um uns zu erlösen, und morgen werdet ihr seine Herrlichkeit schauen (vgl. Ex 16,6-7).

Gott, dessen Kommen wir im Advent erwartet haben und dessen Ankunft wir zu Weihnachten feiern, ist der Gott der Verheißung. So bringt es der oben genannte Eröffnungsvers zur Eucharistiefeier am Heiligen Abend zur Sprache: Heute erfahren wir sein Kommen, aber erst morgen werden wir seine Herrlichkeit schauen. Die Lesungen und Gebete des Weihnachtsgottesdienstes stehen den überhöhten Erwartungen und Ansprüchen auf ein “vollkommenes“ Fest im Kreise der Familie und Freunde entgegen. Es sind diese Erwartungen gegenüber sich selbst und anderen, die in diesen Tagen Zwietracht säen und zu Streit führen. Demgegenüber nimmt der Sinngehalt der Weihnachtsliturgie eine geerdete Sicht auf die Situation des Menschen ein: Dieser geht auf den Pfaden seines Lebens unweigerlich auf Gott zu, er folgt dem Stern der Hoffnung, dass sein Leben doch einen Sinn hat und Erfüllung findet, und er erfährt, dass er sich letztlich keine bleibenden Herbergen schaffen kann. Die Hoffnung lässt den Menschen weitergehen, bisweilen die Hoffnung auf Hoffnung, ahnend, dass sein Weg nicht zu Ende ist, sein Leben unvollendet bleibt und dass da noch etwas “anderes“ sein muss.

Hierin hat die Botschaft von Weihnachten ihren Ort: Gott webt sich in die Menschheitsgeschichte ein. Er tritt in unsere Existenz ein und stellt sich unter den Bedingungen unserer Lebenswelt. Nicht als göttlicher Rollenspieler, sondern als einer von uns – als Mensch unter Menschen, als Mensch mit Menschen. „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (Joh 1,14). Am Menschlichen und Lebenswirklichen vorbei ist Gott nicht zu finden. Wenn wir diese schier unbegreiflichen Worte des Johannesevangeliums erfassen wollen, müssen wir sie in ihrer Radikalität aufnehmen: Wir treffen Gott nicht nur auf den Gipfeln des Erfolgs an, sondern auch in den Tiefen des Scheiterns, nicht nur auf den Höhen der Freude, sondern auch in den Abgründen der Verzweiflung, nicht nur in den Segnungen der Liebe, sondern auch in den Lasten der Einsamkeit, wenn unsere Gebete im Schweigen verstummen. Gott zu begegnen, das ist nur im ganzen “Ja“ zur Höhe und Tiefe unserer Existenz möglich.

Die Hirten und die drei Weisen brechen nach Bethlehem auf. Dort sitzt nicht der göttliche Allherrscher auf dem Thron in einem Palast, dort liegt ein Säugling in der Krippe eines Stalls. Gott kommt in unser Leben, aber anders als erwartet. Diese Pilger des Glaubens können sich von Gott berühren lassen. Er berührt zärtlich. Er berührt uns in dem Moment, wo wir uns von jenen Haltungen verabschieden, mit denen wir unsere vernarbten Wunden, die das Leben geschlagen hat, mit gespielter Stärke zu schützen trachten. Er berührt uns in dem Moment, wo wir uns zur Erkenntnis durchringen, dass wir letztlich mit leeren Händen dastehen: Wir sind Empfangende des Lebens und wir können seine Wege nicht festhalten. Gott berührt uns zärtlich, wo wir uns einander selbstlos zuwenden.

Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (Joh 1,14). Das Wort vom Wohnen muss vom griechischen Originaltext her als “zelten“ verstanden werden. Gott hat unter uns sein Zelt aufgeschlagen. Er ist zum Menschen unterwegs und im Menschen berührbar geworden. Doch Gott bleibt der Gott der Verheißung. Seine zärtliche Berührung bleibt momenthaft, um meinetwillen und um des Nächsten willen. Nur auf diese Weise laufen wir nicht Gefahr, den anderen zum Mittel der eigenen Gottesbeziehung zu machen. Der Nächste ist als Gottes Bild und Gleichnis um seiner selbst willen zu achten. Die Erfahrung der Berührung Gottes lässt sich weder festhalten noch beweisen. Sie erweist sich aber in Neugeborenwerden von Geist und Herz. Wir bleiben also unterwegs in heiliger Unruhe, die sich nach der Fülle des Lebens sehnt. Wir sind Pilger in dieser Zeit, doch nicht allein, sondern mit Jesus Christus, der das Leben mit uns lebt.

Frater Gregor Schwabegger OCist