Das Sehen verkosten

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Kostet und seht, wie gütig der Herr ist, wohl dem, der zu ihm sich flüchtet. (Ps 34,9)

 

Sommerzeit ist Ferienzeit. Wenngleich es uns aufgrund unserer Natur auch immer dazu drängt, zu tun und zu handeln, kann uns die Ferienzeit hierin eine heilsame Unterbrechung bieten. Sie hält eine Erkenntnis bereit: Dass wir nicht aufhören zu existieren, sobald wir aufhören etwas zu tun. Wir leben nicht nur für die Arbeit, wir leben nicht bloß, um etwas zu tun. Doch selbst die Ferienzeit ist nicht frei von diesem Drang. Wird sie tiefer und erfüllter, schenkt sie mehr Erholung, wenn man versucht, all das nachzuholen, was im ganzen Jahr nicht möglich gewesen ist, wenn man nun in einer begrenzten Zeit mehr sehen, mehr tun und mehr erfahren will?

Ein Beispiel mag das verdeutlichen. Ich unternehme eine mehrtägige Städtereise und mithilfe eines Kulturführers klappere ich der Reihe nach Sehenswürdigkeiten, Kirchen, Museen und Gärten ab. Alles Wichtige muss gesehen werden, nichts Wichtiges ist auszulassen. Wer weiß denn schon, ob sich noch einmal eine solche Möglichkeit bietet? Und wie frustrierend ist es erst, wenn etwas Wichtiges in der Planung keinen Platz mehr findet. So habe ich am Ende dieser Tage vieles gesehen, aber nichts betrachtet, habe im Vorübergehen vieles vermerkt, aber nichts auf mich wirken lassen. Ist es nicht ungleich kostbarer, in einem Museum nur wenige Bilder zu betrachten, die einen ansprechen, bei ihnen zu verweilen, als mit einem kurzen Blick an allem vorüberzugehen? Gibt es nicht mehr Tiefgang, in einer Kirche zu verweilen und den sakralen Raum auf sich wirken zu lassen, als eilens hindurchzuschreiten?

Welche Erfahrungen bleiben nach dem Mehr-Sehen in uns zurück? Wer den Mut zur Betrachtung im Akt der Ruhe aufbringt, entdeckt etwas in sich selbst, erfährt etwas über sich selbst, nicht bloß außer sich. Wer betrachtet, der verkostet die Wirklichkeit. Wir können die Ferienzeit als Einladung hierzu annehmen.

Frater Gregor Schwabegger OCist