Das Bild vom Staub

Mit dem Aschermittwoch beginnt die vierzigtägige österliche Bußzeit als Zeit der Vorbereitung auf das Osterfest. Im Gottesdienst dieses Tages werden die Gläubigen mit dem Aschenkreuz bezeichnet und hören dabei die Worte: „Kehr um und glaube an das Evangelium!“ oder „Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehren wirst.“

Letzteres klingt düster und lebensfeindlich. Aber das Bild vom Staub vermag viel über die Wirklichkeit unseres Menschseins zu sagen. Es stammt aus dem Buch Genesis, aus der Rede Gottes an den Menschen im Garten Eden, als dieser seine Verantwortung für sein Tun abschiebt (vgl. Gen 3; hier: Gen 3,19). Das Paradies geht verloren. Mensch, du bist Staub, alles kehrt eines Tages zum Staub zurück. In den Klöstern, in unseren Häusern und Wohnungen gibt es mehr als genug Staub zu finden. Zuweilen wundern wir uns, woher er kommt. Staub, das ist nicht etwas Einzigartiges wie ein Samenkorn. Ohne Form und Gestalt, einmal hierhin, einmal dorthin ziehend, wird er von uns zertreten. Er verweht, sammelt sich neu und wird entfernt. Und doch kehrt der Staub wieder zurück und ist doch überall und damit nirgends zu Hause. Der Mensch erfährt sich als Staub: oftmals ratlos, oftmals umherziehend, suchend und verzweifelt, schuldig und immer wieder neu beginnend, von anderen übergangen und leidend, leidend auch an sich selbst. All das schwingt in der Bedeutung des Bildes vom Staub mit. Und all das gilt es in den vierzig Tagen der österlichen Bußzeit für das eigene Leben zu bedenken. Wie sehr würden unsere Entscheidungen an Weite und Tiefe gewinnen, wenn wir unser Staubsein annehmen würden. Wie sehr würde der Ernst der Verantwortlichkeit die Entschiedenheit unseres Handelns aufgrund solcher Entscheidungen existenziell prägen.

Mensch, bedenke, dass du Staub bist. Da wird eine Aussage über die Existenz des Menschen gemacht. Das Buch Genesis zeichnet auch ein anderes Bild, nämlich jenes über das Wesen des Menschen: Dass er Gottes Ebenbild ist (vgl. Gen 1,27) und Gott in ihm den Lebensatem geblasen hat (vgl. Gen 2,7). Doch das eine Bild hebt das andere nicht auf. Insofern das Bild vom Staub Wahres über die Existenz des Menschen aussagt, ist sie dem Menschen auch zumutbar: Mensch, du wirst vergehen. Du gehst seit deiner Geburtsstunde auf den Tod zu. Unaufhaltsam. Jeder Tag ist ein Leben und der gestrige Tag kehrt nicht wieder zurück. Dass der Mensch Ebenbild Gottes ist, wird dadurch nicht geschmälert. Vielmehr wird man sagen müssen: Wenn wir unser Staubsein nicht bejahen und annehmen, verliert die Dimension der Gottebenbildlichkeit ihre Tiefe und verkommt zur oberflächlichen Tröstung. Sie verliert die Bodenhaftung, ihre Erdhaftigkeit.

Mensch, bedenke, dass du Staub bist. Die nüchterne Aussage des Aschermittwochs wird durch den Prolog des Johannesevangeliums erhöht: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt (…).“ (Joh 1,14) Gott hat in Jesus Christus das Staubsein bejaht und angenommen. Auf dem Weg nach Golgota trug Christus alles, was das Staubsein des Menschen ausmacht. Er trug es und trug es in der Macht der Liebe zu Gott heim und in Gott hinein. Seitdem ist das Staubsein des Menschen nicht mehr das Gehen in die Auflösung allen Lebens, nicht mehr das unaufhaltsame Gehen in die Nichtigkeit, sondern jene Bewegung, die durch das Staubsein in das ewige Leben, in Gott, eingeht.

Der Sinn des „Mensch, du bist Staub“ wird für alle, die sich der Macht der Liebe Gottes anvertrauen, für alle, die sich nach Liebe sehnen und Liebende sind, gewandelt. Der erste und harte Sinn der Aussage bleibt bestehen. Er muss getragen und oftmals schwer erlitten werden. Sonst wird die eigene Existenz nicht angenommen und die Bewegung erstirbt. Der erste Sinn erhält jedoch einen unermesslichen Gehalt: Diese Bewegung ist eine nach unten, sie bedeutet den Abstieg mit Christus in den Staub der Erde und erst dadurch wird sie zum Aufstieg, zur Bewegung in Gott hinein.

Und hier scheint das Licht des Ostermorgens auf: Die Erlösung geschieht nicht am Staubsein vorbei, sondern mitten durch unser Staubsein hindurch. Gott hat in Jesus Christus unser Staubsein bejaht, angenommen und getragen. Alle scheinbar vergebliche Liebe, alles Dunkel und alles sich Auflösende unserer Existenz ist erfüllt von der Ewigkeit.

 

Frater Gregor Schwabegger OCist