Zur Priesterweihe von P. Gregor Schwabegger, P. Aloysius Vu und
P. Savio Ngo im Zisterzienserstift Stams am 19. Juni 2021; Evangelium: Mk 4, 26-34
Einleitung: Außergewöhnliche Zeiten verlangen nach außergewöhnlichen Antworten. Mit diesem
geläufigen Stehsatz lässt sich vieles begründen und je nach Bedarf auch billig entschuldigen – brauchbar
für eine unbekümmerte Schlagzeilen-Politik. Dennoch trifft der Sager unser heutiges Tun:
Ich darf drei junge Männer, die sich für die monastische Lebensform der Zisterzienser entschieden
haben, zu Priestern weihen. Liebe Weihekandidaten, ihr gebt eine außergewöhnliche Antwort auf
den Anruf Gottes, der wie eine Saat mit außergewöhnlicher Keimkraft in euren Herzen aufgegangen
ist. Das Gleichnis von der Saat im Evangelium führt uns das kostbare Zuerst von Gottes Zuwendung
vor Augen. Vieles, was ihr an menschlicher Ermutigung, Begleitung und Ausbildung erfahren habt,
benennen wir heute mit großer Dankbarkeit. Das Wesentliche jedoch Gott gewirkt – ganz gewöhnlich
und außergewöhnlich zugleich. Mit der Weihe verbinde ich eine dreifache Ermutigung, die sich an der
besonderen Form eurer monastischen Berufung orientiert.
1. Mut zu einer außergewöhnlichen Einfachheit
Vor kurzem hat mir ein Priester, der bereits sein diamantenes Weihejubiläum gefeiert hat, erzählt,
dass er täglich einen ausgedehnten Spaziergang macht, dem Radlweg entlang – immer dieselbe
Route. Die Leute im Dorf wissen es und täglich (!) spricht ihn jemand an, einige suchen ganz bewusst
eine „zufällige“ Begegnung, um ihr Herz ausschütten zu können. „Der Radlweg ist meine Pfarre!“ hat
mir der im Herzen jung gebliebene Seelsorger mit strahlender Dankbarkeit erzählt. Und: „Herr
Bischof, wenn die vielen kleinen Ereignisse und die vielen Begegnungen in ihrer Tiefendimension
anschaue, ist in meinem Leben sehr viel los, immer noch!“ Diese einfache und doch so
außergewöhnliche Nähe eines Seelsorgers zu den Menschen ist uns Vorbild.
Liebe junge Freunde, ich weiß nicht, wie eine Mönchszelle heutzutage ausgestattet ist – aber ich
vermute, dass sie trotz des hohen kulturellen Reichtums in diesem Stift eine angemessene
Schlichtheit besitzt. Nichts soll ablenken, nichts unser Herz besetzen – so ähnlich radikal formuliert es
Bernhard von Clairvaux, euer geistlicher Vater. Ich meine natürlich keinen lächerlichen Armutspathos,
sondern eine Lebensform, die Freiheit ermöglicht und zu einer immer größeren Freiheit ermutigt. Ein
einfaches Leben überzeugt, gerade auch die jungen Leute, mit denen ihr hier im Schul-Cluster von
Stams zu tun habt. Sie haben ein unbestechlich gutes Sensorium für das, was authentisch ist und dem
Lebensstil Jesu entspricht.
Ein bewusst einfaches Leben verbindet uns unspektakulär auch mit jenen, die keine freie Wahl haben
und selbst in unserer Wohlstandsgesellschaft um das Lebensnotwendige kämpfen müssen, mit jenen,
die mit chronischen Erkrankungen zu tun haben, Angehörige pflegen und vieles mehr an
Herausforderungen meistern müssen. Als „Geistliche“ haben wir doch die innere, jesuanische
Verpflichtung, diesen Menschen unser Herz zu weihen, sie nicht zu übersehen – zumindest an sie zu
denken, für sie zu beten und wo es nur irgendwie möglich ist, mit Seelsorge und sozialem Einsatz ihr
Leben erträglicher zu machen. Habt Mut zu einem einfachen Leben. Es macht uns zugänglich, frei und
verfügbar für das, was wir zum Wachstum von Gottes Reich beitragen können.
2. Mut, sich von Gott stören zu lassen
Richard Ames, bekannter Tenor an der Grazer Oper und Kantor in der jüdischen Gemeinde wurde
einmal gefragt, warum es im Judentum so viele Gebote und Verbote gibt – und wie er, bekannt als ein
lebensfroher und weltoffener Mensch, dazu stünde. Seine Antwort bewegt mich bis heute. Er sagte,
dass die vielen religiösen Vorgaben einzig und allein den Sinn hätten, sich von Gott im Alltag stören zu
lassen. Sich von Gott stören zu lassen – inmitten einer Zeit, die ihren Rhythmus vorgibt, ihren „run“,
dem kaum zu entkommen ist. War es neben den Entbehrungen und unzähligen negativen Folgen der
Corona-Zeit nicht auch ein Segen, dass wir kollektiv aus der Bahn geworfen wurden? In unserem
heillosen Tempo gestört wurden?
Liebe Weihekandidaten, durch die Regel eurer Ordensgemeinschaft seid ihr zur permanenten
Unterbrechung im Tagesablauf verpflichtet. Ihr habe einen Dienst des Gebetes übernommen. Das ist
mutig in einer Zeit, in der alles nach wirtschaftlicher Nützlichkeit und Effektivität verrechnet wird. Das
scheinbar unnütze Gebet ist heilsam und zeichenhaft in unserer auf Business und Fun ausgerichteten
Gesellschaft. Lasst euch weiterhin von Gott stören – auch wenn euer Chorgebet und Betrachten nicht
immer den emotionalen Kick haben kann. Im Gewöhnlichen wird das Außergewöhnliche
wahrnehmbar. Das gilt im Besonderen für die priesterlichen Gebete in der Feier der Eucharistie. Sie
verbinden uns mit Jesus, der durch sein Leben, Sterben und Auferstehen für immer Erde und Himmel
verbunden hat. Beten wir mit ihm: „Vater, ich preise Dich, denn …“
Lass wir uns bitte auch stören von jenen, die sich mit Gott und Kirche schwer tun – achten wir auf ihre
Verwundungen, Enttäuschungen und vielleicht auch aggressiven Äußerungen. Mit diesen Stimmen
„von außen“ werden wir in den üblichen Gewohnheiten hinterfragt, vielleicht auch irritiert. Ist in
unserem Beten und gemeinschaftlichen Leben das Außergewöhnliche von Gottes Leidenschaft für
den Menschen spürbar? In den Herzen der Menschen schlummert doch eine Sehnsucht, die vielfach
verschüttet ist, aber plötzlich wieder aufbrechen kann. Ein Kloster, das im Mittelalter gegründet
wurde, ist offensichtlich aus der Zeit gefallen – kann aber gerade für die Nomaden und Suchenden
unserer Zeit zur Oase werden, zu einem außergewöhnlichen Zufluchtsort. Wichtig ist, dass es ein Ort
der entlastenden Unterbrechungen ist, gastfreundlich für die Entfremdeten.
3. Mut, sich einem gemeinschaftlichen WIR anzuvertrauen
In einigen Klöstern haben wir die Situation, dass sie durch die Altersstruktur der Gemeinschaft kaum
mehr anschlussfähig für neue Berufungen sind. Vielleicht wird uns hier in Stams ein neuer Aufbruch
geschenkt. Wir sind sehr beschenkt, dass Mönche aus der Zisterzienserabtei Chau Son in Vietnam
hierhergekommen sind und zur geistvollen Lebendigkeit und Fröhlichkeit der Gemeinschaft hier
Wesentliches beitragen. Dass ist außergewöhnlich – eine Erfahrung internationaler
Geschwisterlichkeit, wie sie Papst Franziskus in „Fratelli tutti“ beschreibt. Wo auch immer wir leben,
was auch immer wir an spezieller Kompetenz und Auftrag leben, wir gehören durch Christus zu einer
weltweiten Gemeinschaft – und dürfen sie an einem ganz spezifischen Ort mitaufbauen.
Die Entscheidung für eine konkrete Gemeinschaft verlangt Mut. Es ist die Alternative zu den
solistischen Pfaden, die scheinbar zur individuellen Selbstverwirklichung in unserer Zeit unabdingbar
wären. Und zugleich leiden wir kollektiv darunter. Einsamkeit ist der Name für die große seelische
Pandemie, die uns gegenwärtig heimsucht. Wer sich für eine klösterliche Gemeinschaft entscheidet,
versucht seinen Eigensinn zurückzustellen und sich in ein größeres Wir hineinzubegeben.
Exemplarisch wird im Kloster gelebt, was uns alle beschenkt und herausfordert: Wer sich selbst nicht
zurückhält, wird Glück erfahren. Lieber Gregor, lieber Aloysius, lieber Savio, ihr werdet zu Priestern
für eure Gemeinschaft und für das ganze Volk Gottes geweiht. Als Zeugen Jesu seid ihr lebendige
Mut-Träger und Mut-Vermehrer im großen Wir der Kirche und unserer Gesellschaft.