In der Lebensschule Jesu – Ein Zugang zur Bibel –

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Die Wüstenväter und -mütter haben es in ihrer Zeit wieder für alle wieder neu entdeckt und damit auch experimentiert: Christ und Christin ist man nicht statisch, sondern Christ und Christin wird man Tag für Tag in der Lebensschule Jesu. Benedikt von Nursia nennt das im Prolog seiner Klosterregel aus der Mitte des 6. Jahrhunderts ein Gehen „unter der Führung des Evangeliums“. Das Wort Experiment leitet sich bekanntlich von experimentum – „das in Erfahrung Gebrachte“ – und von experiri – ausprobieren, in Erfahrung bringen – ab. Experimentiert wird mit dem, was man in der Lebensschule Jesu mit Kopf und Herz verstanden hat. Frère Roger Schutz (gest. 2005), der Gründer der Gemeinschaft von Taizé, bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt: „Lebe das, was du vom Evangelium verstanden hast. Und wenn es noch so wenig ist, aber lebe es! … Das Wenige, das wir vom Evangelium begreifen entfaltet sich in uns, sobald wir es, und sei es noch so schüchtern, weitergeben.“

Von hier aus haben die Wüstenväter und -mütter erfahren und sie haben ihre Erfahrung an die nächsten Generationen weitergegeben: Die Heilige Schrift ist nicht eine Ansammlung von Büchern, Erzählungen, Glaubenssätzen und ethischen Normen längst vergangener Zeiten. Nein, sie ist inspirierter Raum verdichteter geistlicher Erfahrung und das bedeutet: Der Heilige Geist, Gottes schöpferische Kraft, öffnet in der betenden Meditation wie auch in der Liturgie die Schrift auf mein Leben hin und öffnet mein Leben auf die Schrift hin. Die Schrift legt mein Leben aus und mein Leben legt die Schrift aus. Nochmals anders gesagt: Die Schrift wird gegenwärtig und lebendig gesetzt – ich schreibe sie mit meinem Leben weiter. In diesem Zueinander und Ineinander von Wort, Hören des Wortes, Aufnahme des Wortes und experimentum, gleichsam in diesem Klangraum, wandelt sich in der Lebensschule Jesu – „unter der Führung des Evangeliums“ – der innere Mensch.

In diesem Klangraum wandelt sich das so neue Leben aus dem Evangelium auf Gott hin und –darin – zugleich hin auf Schöpfung und Mitwelt. Das Hören des Wortes ist ganz im biblischen Sinn das Hören mit dem Herzen als Mitte des Personseins: Verstand, Erkenntnis, Wille, Gefühle, Erinnerung. Es umfasst alle Dimensionen menschlicher Existenz, Licht wie Schatten und Dunkelheit. Es ist kurzum das Innere unseres Menschseins. Das Hören der Schrift vollzieht sich darum mit allen Sinnen und Fasern unseres Menschseins und unserer Existenz, sodass der so hörende Mensch mit Psalm 139 sagen kann: „Gott, du bist vertraut mit all meinen Wegen. Von hinten und von vorn hast du mich umschlossen, hast auf mich deine Hand gelegt. Nähme ich die Flügel des Morgenrots, ließe ich mich nieder am Ende des Meeres, auch dort würde deine Hand mich leiten und deine Rechte mich ergreifen. Würde ich sagen: Finsternis soll mich verschlingen und das Licht um mich soll Nacht sein! Auch die Finsternis ist nicht finster vor dir, die Nacht leuchtet wie der Tag, wie das Licht wird die Finsternis. Du selbst hast mein Innerstes geschaffen, hast mich gewoben im Schoß meiner Mutter.“

Die biblischen Erzählungen und Zeugnisse entfalten so als Erinnerungskultur verdichteter geistlicher Erfahrungen eine gegenwärtige Wirkmächtigkeit: Ihre Lande, Orte und Begebenheiten werden zu Landen, Orten und Begebenheiten des eigenen Lebens. Die Person Jesu, im Volk Israel und dessen Glauben beheimatet und verwurzelt, ist nach dem Zeugnis des Paulus – seine Schriften sind die ältesten des Neuen Testaments – der göttlich-menschliche Interpret der Tora, weil er selbst die menschgewordene Weisung der Tora ist, gebündelt in dem Wort: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.“ (Mt 22,37-40; vgl. Dtn 6,5; Lev 19,18)

Die Wüstenväter und -mütter haben, gleich den ersten Christen und Christinnen, die Erfahrung gemacht: In der Gemeinschaft der Lebensschule Jesu ist seine Gegenwart bleibend eingeschrieben. Dies wird bis heute bezeugt. Auf seinen Tod als Hingabe seines Lebens in der Liebe getauft und durch sein Auferstehen in das Leben Gottes hineingenommen, ist Nachfolge, das Gehen „unter der Führung des Evangeliums“, das Lernen wahren Menschseins, neues Sein in Christus – hier immer unvollendet auf dem Pilgerweg des Lebens, aber hier immer in der Hoffnung auf die zukünftige Vollendung, die schon jetzt durchscheint.

P. Gregor Schwabegger OCist